Aufwärmübungen

Wenn du Teil 1 des „Kalligrafie-FAQs“ gemeistert hast, bist du gut vorbereitet: Dein Material liegt bereit, du hast den Federhalter in der Hand und das Papier vor dir ausgerichtet, deine Körperhaltung ist vorbildlich. Los geht’s mit den Aufwärmübungen!

1. Aufwärmübungen – immer wieder

Ja, tatsächlich: Diese Übungen sollte man immer wieder machen, am besten immer, wenn du die Feder zur Hand nimmst. Es sind mitnichten Übungen für Anfänger, sondern vielmehr Aufwärmübungen, durch die deine Muskulatur gelockert und dein Muskelgedächtnis aktiviert wird. 

Anfangs werden dir diese Übungen vielleicht komisch vorkommen oder auch etwas schwerfallen. Das ist nicht ungewöhnlich, denn deine Hand, deine Muskeln sind nicht an diese Bewegungen gewöhnt. Tatsächlich jedoch gibt es ein Muskelgedächtnis, das „muscle memory“, das dafür sorgt, dass Bewegungen, die du oft wiederholst, dir irgendwann leichterfallen, sie flüssiger werden und auch nach einer Pause die vorher erzielten Leistungen schneller wieder abgerufen werden können. Das heißt: Je mehr du übst, desto besser gewöhnen sich deine Muskeln an die Bewegungen, desto flüssiger werden sie, desto besser wird dein Schriftbild. Es ist eben doch etwas dran an „Übung macht den Meister“

a. Ovale

Ovale

Für die erste der Aufwärmübungen nimmst du dir einen Bleistift, vor dir liegt ein Blatt Papier, vielleicht eines mit Linienraster. (Hier kannst du es kostenlos herunterladen.) Fixiere deinen Unterarm an der Tischplatte so, dass du deine Hand leicht und schwungvoll über das Papier bewegen kannst. Nun beginnst du, von der Grundlinien des Linienrasters bis zur Linie der Oberlänge Ovale zu zeichnen – nicht einzeln, sondern in einer einzigen Bewegung, setze den Bleistift dabei nicht ab. Wechsel die Richtung, und wenn du willst, kannst du auch die Größe variieren, mal größer und mal kleiner werden.

b. Horizontale Acht

Horizontale Acht

Als Nächstes machst du dich locker und ziehst eine große Acht über die gesamte Zeile: wieder und wieder. Und dann in die andere Richtung. Dein Unterarm berührt dabei weiterhin die Tischkante, dein Handgelenk bewegt sich möglichst wenig: Deine Bewegungen kommen aus dem Arm, nicht aus der Hand und schon gar nicht aus den Fingern. Und dann wechsel die Richtung und führe die Acht andersherum aus.

c. Vertikale Acht

Vertikale Acht

Nun musst du dein Handgelenk bzw. deinen Unterarm von der Tischplatte lösen, denn die nächste Übung kannst du sonst nicht ausführen – dennoch bleibt dein Handgelenk weiterhin möglichst unbeweglich und die Bewegung wird aus dem Arm heraus ausgeführt: Du machst wieder eine große Acht, diesmal jedoch nicht horizontal über die Zeile, sondern vertikal, alle Zeilen der Seite überschreitend. Wieder und wieder, und dann die Richtung wechseln.

Diese Aufwärmübungen kannst du natürlich auch mit Feder und Tinte durchführen. Da es hier aber darum geht, die Muskeln zu lockern, nicht darum, eine Gefühl für deine Arbeitsmaterialien zu bekommen, reicht ein Bleistift (oder jeder andere Stift) völlig aus.

2. Grundstriche: Die ersten Übungen mit Feder und Tinte

Nun endlich geht es an Feder und Tinte und du machst die ersten Grundstriche, um dich mit Tintenfluss und Federeigenschaften vertraut zu machen. Stecke also nun deine vorbereitete Feder in den Federhalter (wie du die Feder vorbereitest und wie sie im Halter stecken sollte, kannst du hier nachlesen) und tauche sie in die Tinte. Los geht’s!

Eine Grundregel der Spitzfederkalligrafie lautet (vielleicht kennst du sie schon vom Hand- oder Brushlettering): Aufstriche dünn (Haarlinien ohne Druck), Abstriche dick (mit Druck auf die Feder ausgeführt). 

a. Abstriche

Abstriche

Für die Abstriche führt ihr eure Feder von der oberen Linie bis zur Grundlinie und übt dabei durchgehend Druck aus, so dass ein dicker Strich entsteht, der sich deutlich von der Stärke eure zarten Aufstriche unterscheidet. Auch diese richtet ihr am Neigungswinkel aus und übt sie, bis ihr zufrieden seid. Die Stärke des Strichs sollte dabei stets die gleiche sein.

b. Zunehmender und abnehmender Druck

Nun wird es etwas kniffliger: Du übst zunehmenden und abnehmenden Druck. Alle folgenden Striche sind Abwärtsstriche, denn Aufwärtsstriche sind ohne Ausnahme immer fein – wolltest du versuchen, Aufstriche mit Druck auszuführen, würden Papier oder Feder darunter leiden – oder gar beides. Die hier ausgeführten Zunahmen oder Abnahmen findest du in der Praxis z. B. bei Übergängen nach oder vor Kurven, wo du die Richtung von oder zu einem Aufwärtsstrich änderst.

Zunehmender Druck, zunehmende Strichstärke

Beim zunehmenden Druck beginnst du an der oberen Linie mit einem zarten Strich; zur Grundlinie hin verstärkst du den Druck, so dass du am Ende eine Art „Kegel“ hast: oben spitz und unten breiter.

Abnehmender Druck, abnehmende Strichstärke

Beim abnehmenden Druck ist es genau andersherum: Du beginnst oben mit Druck, wirst zur Grundlinien hin immer schmaler und feiner und endest mit einer Spitze – also ein umgekehrter Kegel.

Zu- und abnehmender Druck, zu- und abnehmende Strichstärke

Eine letzte Übung für zunehmenden und abnehmenden Druck ist der „Tropfen“: Du beginnst oben schmal, übst dann zur Mitte hin zunehmend Druck auf die Feder aus und wirst zur Grundlinie hin wieder schmal, so dass deine Linie aussieht wie eine Perle an einer Schnur. Du kannst auch versuchen, mehrere Perlen an diese Schnur zu reihen und den Druck mehrmals aufbauen und wieder wegnehmen.

Bei all diesen Übungen solltest du darauf achten, fließende Übergänge zu produzieren und keine „Ecken“ in deinem Strich zu haben. Mach dir keine Gedanken, wenn dir das anfangs noch schwerfällt, das ist ganz normal. Je mehr du übst, desto mehr wirst du bald Fortschritte erkennen.

c. Aufstriche

Aufstriche

Die größte Herausforderung sind die Aufstriche, denn hier siehst du in der Regel nicht, was du schreibst (sofern die Feder richtig ausgerichtet ist und parallel zu den Neigungslinien liegt). Für die Aufstriche führst du die Feder von der Grundlinie deines Linienrasters bis zur obersten Linie (ohne Linienraster ziehst du sie von deiner Schreiblinie so hoch, wie eure Buchstaben mit Oberlängen reichen (h, k, l usw.), also etwa dreimal so hoch wie die Buchstaben mit x-Höhe, und übst dabei keinerlei Druck auf die Feder aus. Die Linien sollten so dünn wie gerade möglich sein, dass man sie auf dem Papier sieht. 

Halte dabei den Neigungswinkel von ca. 55° ein. Das wiederholst du, bis du selbst zufrieden bist, sowohl mit der Stärke der Striche als auch mit ihrer Geradlinigkeit. Aber mach dich nicht verrückt: Sie werden – gerade am Anfang – immer mal zittrig aussehen. 

Im dritten Teil dieser Reihe geht es dann an die Grundformen.

Hier geht es weiter:

Kalligrafie-Grundformen

Grundformen begegnen uns in klassischen Spitzfeder-Schrifte, liegen aber auch der modernen Kalligrafie zugrunde. Hier erkläre ich alle Grundformen im Einzelnen.

Kalligrafie lernen Material

Keine Angst vor großen Ausgaben: Damit du mit der Kalligrafie beginnen kannst, benötigst du nicht viele Materialien. Wenn es dir gefällt, kannst du weitershoppen. Was du wirklich brauchst, habe ich dir hier aufgelistet.

Die Vielfalt an Spitzfedern ist riesig, und wenn man gerade erst mit der Kalligrafie begonnen hat, weiß man oft nicht so recht, zu welcher Feder man greifen soll. Dieser Artikel hilft dir.

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