
Wenn eure Muskeln aufgewärmt sind (hier geht es zu den Aufwärmübungen) und ihr euch mit eurer Feder und dem Tintenfluss vertraut gemacht habt, geht es weiter mit den Grundformen. Besonders in Schriften wie der Copperplate-Kalligrafie oder der Engorsser’s Script gibt es relativ strikte Regeln, wie diese Schriften aufgebaut sind, wodurch sie ihr klassisch-elegantes Schriftbild erhalten. Auch die moderne Kalligrafie bedient sich dieser Regeln und der Grundformen – doch was sie ausmacht, ist vielmehr das gewollte Brechen der Regeln, wodurch die Schrift einen sehr individuellen Charakter erhält. Sie basiert natürlich grundsätzlich ebenfalls auf diesen Grundformen, die ich hier vorstelle, doch oft sind sie nicht so klar zu erkennen oder sind individuell verändert.
Es gibt sieben bzw. acht Grundformen, von denen in fast allen Kleinbuchstaben der klassischen Spitzfederkalligrafie mindestens eine vorkommt, und viele Buchstaben sind vollständig daraus „zusammenzubauen“. Ich stelle euch hier jede einzelne Form vor und nenne die Buchstaben, in denen ihr sie jeweils finden könnt.
Hier könnt ihr euch eine Vorlagenseite herunterladen, um die Formen zu üben und selbst zu schreiben:
1. Der Eingangsstrich
Zu finden in: a, b, c, d, e, f, g, h, i, j, k, l, o, p, q, (Variante 1 von) r, s, t, u, w, ß
Mit diesem Strich beginnt ihr nicht nur euren Buchstaben, sondern in der Regel auch ein ganzes Wort. Es ist eine dünne Haarlinie, die ihr von der Grundlinie leicht gebogen (als wolltet ihr ein großes Oval schreiben) bis zur x-Höhe zieht. Nur einige Buchstaben, nämlich die, die mit einem Aufwärtsbogen (m, n, Variante 2 von r), einer Welle (v, y) oder dem halben Oval im Uhrzeiger (x, z) beginnen, haben keinen Eingangsstrich. Aber Achtung: Nicht in allen Fällen wird der Eingangsstrich bis zur x-Höhe gezogen (weshalb nicht, erfahrt ihr im nächsten Kapitel). In der modernen Kalligrafie wird dieser Eingangsstrich oft weggelassen, zur klassischen Kalligrafie gehört er jedoch dazu.
Beim Eingangsstrich zu beachten
Wie ihr eben erfahren habt, führt ein Eingangsstrich von der Grundlinie zur x-Höhe – eigentlich. Bei einigen Buchstaben sollte er jedoch nur halb so hoch geführt werden, damit er nicht „stört“, nämlich dann, wenn eine gebogene Linie daran „angelehnt“ werden soll, etwa beim a, c oder d. Schaut euch einmal das Video links an: Beim ersten c wird der Eingangsstrich nur halb so hoch geführt wie üblich, dadurch fügt sich das halbe Oval gut an und der Eingangsstrich „verschmilzt“ mit ihm.
Beim zweiten c wird der Eingangsstrich bis zur x-Höhe geführt; wenn nun das Oval angefügt wird, deckt es den oberen Teil des Eingangsstrichs nicht mit ab und dieser ist noch zu sehen: So sollte es nicht aussehen.
Doch natürlich gibt es Buchstaben, bei denen der Strich bis zur x-Höhe geführt wird: Dies ist der Fall bei Buchstaben, bei denen eine Oberlänge folgt, und bei Buchstaben, bei denen der nächste Strich direkt am Ende des Eingangsstrichs ansetzen, etwa u oder i.
2. Der Aufwärtsbogen
Zu finden in: m, n, (Variante 2 von) r
Der Aufwärtsbogen wird von der Grundline zur x-Höhe und zurück zur Grundlinie geführt und dabei – wie der Name schon sagt – gebogen. Ihr beginnt mit einem Haarstrich bis zur x-Höhe und in der „Kehre“ beginnt ihr für den Abwärtsstrich den Druck auf die Feder zu verstärken. Ihr endet wieder auf der Grundlinie. Nur in wenigen Buchstaben kommt dieser Bogen vor.
3. Der Abwärtsbogen
Zu finden in: a, d, i, t, u, w
Der Abwärtsbogen ist ein um 180° gedrehter Aufwärtsbogen. Ihr beginnt euren Abstrich mit Druck auf die Feder an der x-Höhe; zur Grundlinie hin nehmt ihr immer mehr Druck weg, so dass ihr in schon in der Kehre eine Haarlinie zieht, die ihr dann zurück zur x-Höhe führt. Ein solcher Abwärtsbogen kommt bei mehr Buchstaben vor als der Aufwärtsbogen; dabei gibt es zwei Besonderheiten: Sowohl beim d als auch beim t beginnt der Abwärtsbogen nicht an der x-Höhe, sondern an der halben Oberlängenlinie (auf dem Linienraster die Linie zwischen x-Höhe und Oberlängenlinie), wird dann bis zur Grundlinie und zurück zur x-Höhe geführt.
4. Die Welle
Zu finden in: h, (k,) m, n, (Variante 1 von) p, v, (Variante 1 von) x, y
Die Welle, auch kombinierter Bogen (engl. compound curve) genannt, ist genau das: eine Kombination aus Aufwärts- und Abwärtsbogen. Sie beginnt mit einem Aufwärtsbogen, doch der verstärkte Abstrich endet nicht an der Grundlinie, sondern stellt bereits den Abstrich des Abwärtsbogens dar; d. h., zur Grundlinie hin nehmt ihr den Druck wieder weg und führt den Strich an der Grundlinie im Bogen wieder aufwärts zur x-Höhe – in Wellenform eben. Diese Welle begegnet euch beim Abschluss von m und n, am Beginn von y, sie stellt den Bogen beim h und einer der Varianten von p dar und bildet den Hauptkörper von v sowie der ersten Variante von x.
Eine umgekehrte Welle gibt es auch. Sie gehört jedoch eigentlich nicht zu den Grundformen, da sie uns nicht innerhalb eines Buchstabens begegnet, sondern ausschließlich bei der Buchstabenverbindung eines Buchstabens mit einem Abwärtsbogen als schließendem Strich (etwa bei a, d oder u) mit einem m oder einem n, die jeweils mit einem Aufwärtsbogen beginnen. Die umgekehrte Welle ist also die Kombination aus einem Abwärtsbogen mit einem Aufwärtsbogen auf die oben beschriebene Weise.
5. Das Oval
Zu finden in: a, d, g, o, q (halbes Oval: c, e; (Variante 2 von) p, (Variante 2 von) x
Klar, das Oval kommt beim o vor, aber nicht nur dort, auch weitere Buchstaben enthalten ein Oval neben weiteren Grundstrichen. Ihr beginnt es entweder auf 12 Uhr oder auf 1 Uhr und führt eure Feder zunächst ohne Druck gegen den Uhrzeigersinn; zwischen der x-Höhe und der Grundlinie verstärkt ihr den Druck und nehmt ihn zur Kehre hin gleich wieder weg, wie bei der Welle. Führt den Strich nun wieder Richtung x-Höhe, bis er auf den Anfangspunkt trifft. Vorsicht: Achtet darauf, dass ihr hier keine Kante erzeugt, sondern sauber anschließt.
Aus meiner Sicht gibt es zwei Vorteile, wenn ihr auf 1 Uhr beginnt: 1. Ihr müsst nicht sofort beginnen, euren Druck auf die Feder kontinuierlich zu verstärken, sondern könnt ihn erst nach der Kurve beginnen aufzubauen; 2. Wenn ihr wieder auf den Anfangspunkt trefft, lauft ihr weder Gefahr, unterschiedliche Strichstärken zu haben noch eine „Ecke“ in euer Oval zu schreiben, wenn ihr in einem ungünstigen Winkel am Anfangspunkt ankommt.
Ein jeweils offenes Oval findet ihr in den Buchstaben c und e sowie p und x. Bei c und e wird das halbe Oval gegen den Uhrzeigersinn geführt und die Öffnung befindet sich auf der rechten Seite; bei p und x wird das Oval mit dem Uhrzeiger geführt, die Öfnung ist dabei auf der linken Seite.
6. Die Oberlänge
Zu finden in: b, (Variante 1 von) f, h, k, l
Diese Form findet ihr in vielen – nicht allen! – Buchstaben, die über die x-Höhe hinausragen, in der klassischen Spitzfederkalligrafie in Form einer Schlaufe. Diese Schlaufe beginnt an der x-Höhe und ihr zieht sie als Haarstrich bis zur Oberlängenlinie. Nach der Kehre beginnt ihr den Druck zu verstärken, zieht die Feder dann mit Druck bis zur Grundlinie und berührt dabei euren Anfangspunkt
Einige Buchstaben mit dieser Form weisen Besonderheiten auf: Beim f endet der Strich nicht an der Grundlinie, sondern wird bis zur halben Unterlängenlinie weitergeführt. Beim b und beim l endet der Abstrich ebenfalls nicht an der Grundlinie, sondern macht einen Bogen wieder hinauf zur x-Höhe. Das heißt, zur Grundlinie hin nehmt ihr den Druck wieder weg, um in der Kehre bereits einen Haarstrich zu haben.
7. Die Unterlänge
Zu finden in: (Variante 2 von) f, g, j, q, y, z
Die Unterlänge ist eine umgedrehte Oberlänge: Sie beginnt an der x-Höhe und wird mit Druck auf die Feder Richtung Unterlängenline geführt. Dabei nehmt ihr kontinuierlich den Druck Weg, so dass die Linie schon in der Kehre ein Haarstrich ist und als solcher wieder zur Grundlinie hochgeführt wird. Dort berührt er den Abstrich, so dass eine Schlaufe entsteht.
Auch hier weist die Form bei einigen Buchstaben Besonderheiten auf: Bei der Variante von f und beim q wird der Strich in der Kehre nicht nach links geführt, sondern nach rechts, so dass sich die Schlaufe nicht links, sondern rechts vom verstärkten Abstrich befindet. Beim z dagegen beginnt der Abstrich nicht an der x-Höhe, sondern an der Grundlinie; gibt es keinen geraden Strich, sondern die Unterlänge besteht einzig aus einer Schlaufe.
Zusammensetzung einzelner Grundformen zu Buchstaben
Eingangs hatte ich erwähnt, dass sich die meisten Kleinbuchstaben aus den hier beschriebenen Grundformen zusammensetzen lassen. Wie genau das aussehen kann, zeige ich hier im Video am Beispiel des kleinen a: Es setzt sich zusammen aus einem (halben) Eingangsstrich), einem Oval und einem Abwärtsbogen. Diese drei Elemente stehen natürlich nicht für sich, sondern werden aneinandergefügt, so dass das klassische Copperplate a entsteht .Sehr selbst.
Nun heißt es: (Grundformen) üben, üben, üben
Es gibt noch einige weitere Formen, die bei einzelnen Buchstaben wie dem r und dem s auftreten; sie gehören jedoch nicht zu den Grundformen.
Für den Anfang werden die oben aufgeführten Grundformen euch jedoch schon sehr weit bringen, das heißt: Nun seid ihr gerüstet für Buchstaben, Wörter, Texte. Und damit ihr gleich weiterüben könnt, könnt ihr euch hier die Vorlage mit den Grundformen herunterladen:
* Jede Art der Nutzung zu kommerziellen Zwecken und die Weiterverbreitung ist untersagt.
Hier geht es weiter:

Keine Angst vor großen Ausgaben: Damit ihr mit der Kalligrafie beginnen könnt, benötigt ihr nicht viele Materialien. Wenn es euch gefällt, könnt ihr weitershoppen. Was ihr wirklich braucht, habe ich euch hier aufgelistet.

Die Vielfalt an Spitzfedern ist riesig, und wenn man gerade erst mit der Kalligrafie begonnen hat, weiß man oft nicht so recht, zu welcher Feder man greifen soll. Dieser Artikel hilft euch.
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