Eine kleine Federkunde: Federn für die Spitzfeder-Kalligrafie

Feder

Sie ist so klein und unscheinbar und doch macht sie einen so großen Unterschied: die Feder. Doch Feder ist nicht gleich Feder, das merkt jeder, der nur mal zwei verschiedene ausprobiert. Wenn ihr euch mit Spitzfeder-Kalligrafie beschäftigt, werdet ihr schnell merken: Alle Federn – und es gibt viele! – weisen unterschiedliche Eigenschaften auf. Manche sind eher starr und man benötigt viel Druck für die Abwärtsstriche. Andere sind so sensibel, dass schon der kleinste Druck zu einem regelrechten Tintenmassaker führen kann. Dann gibt es welche, auf die kann man sich immer verlassen, andere zicken gern ein wenig rum. Manche machen feine und „leise“ Striche, andere trumpfen ziemlich auf. Manche kratzen und bleiben an jeder Faser hängen, andere kratzen auch, sind damit aber Musik in den Ohren des Kalligrafen.

Kurz gesagt: Jede Feder ist anders. Genauso hat jeder, der sie nutzt, unterschiedliche Vorlieben und muss selbst herausfinden, welche Feder ihm am besten liegt oder welche Feder für welches Projekt, welches Papier am besten geeignet ist. Nach und nach werde ich in diesem Blog verschiedene Federn mit ihren Eigenschaften vorstellen. Dieser Artikel soll jedoch erst einmal ein Einstieg sein und euch einen Überblick über das Thema geben.  

Federn für die Spitzfeder-Kalligraphie
Viele dieser Federn sind schon länger in Gebrauch. Ihr solltet sie immer gut pflegen, damit sie länger halten, doch manch eine Tinte hinterlässt Spuren.

Eigenschaften von Spitzfedern

Zwei wesentliche Eigenschaften zeichnen eine Feder für die Spitzfeder-Kalligrafie aus: ihre Breite und ihre Flexibilität. 

Grob lassen sich Spitzfedern in drei verschiedene Breiten einordnen: EF (extra fein), F (fein) und M (mittel). Je feiner die Spitze, desto feiner die Haarlinien, also die Aufwärtsstriche, die sich damit produzieren lassen. Die Breiten sind allerdings keineswegs genormt, so dass auch zwei Federn der Breite EF ganz unterschiedlich feine Haarlinien hervorrufen können. 

Die Flexibiliät einer Feder hat Auswirkung auf die Abwärtsstriche: Je flexibler die Feder ist, desto weiter öffnet sich der Spalt auf Druck, desto mehr Tinte fließt aus der Feder, desto kräftiger werden die Abwärtsstriche.

Welche Feder für den Anfang?

Erfahrungsgemäß üben Anfänger meist recht starken Druck auf die Feder aus, daher ist es  besser, mit einer härteren, weniger flexiblen Feder zu beginnen. Die G-Federn wie die Nikko G oder die Tachikawa G eignen sich dazu sehr gut. Auch die Hunt 22B ist eine gute Anfängerfeder; einige bevorzugen die Brause Steno-Feder. Eine kleine Kaufberatung findet ihr hier.

Grundsätzlich ist mein Tipp aber: Testet einfach selbst einige Federn aus, um herauszufinden, welche euch am besten liegt (so teuer sind ja in der Regel nicht). Denn nicht nur jede Feder ist unterschiedlich: Auch geht jeder unterschiedlich mit ihnen um, hat einen festeren oder leichteren Griff, drückt mehr oder weniger stark auf und hält die Federn in unterschiedlichen Schreibwinkeln.

Die Federn vorbereiten

Federn für die Spitzfeder-Kalligraphie - Vorbereitung in der Kartoffel

Kommt euch das bekannt vor? Ihr habt euch eine neue Feder für die Spitzfeder-Kalligrafie gekauft, doch beim Ausprobieren stellt ihr frustriert fest: Das dumme Ding funktioniert nicht! Die Tinte perlt von der Feder ab und ihr müsst sie nach jedem Strich erneut eintauchen. Stimmt da was mit der Feder nicht?

Jein: Mit der Feder ist alles in Ordnung, allerdings hat sie, so frisch gekauft, einen öligen Schutzfilm, der nun erst einmal entfernt werden muss, damit die Tinte schön an der Feder haften bleibt.

Das ist ganz einfach und man braucht dafür noch nicht einmal „fancy tools“: Ihr könnt den Schutzfilm entfernen, indem ihr die Feder mit Spucke oder Glasreiniger kräftig abreibt. Auch die Stärke einer Kartoffel hilft: Steckt die Feder vorsichtig für ein paar Minuten hinein (bis über das Reservoir, das kleine Loch – so weit solltet ihr die Feder auch in die Tinte tauchen, denn hier wird die Tinte „gespeichert“) und reibt sie anschließend gut ab. So bleibt die Tinte an der Feder haften und perlt nicht ab.

Ab und zu stelle ich fest, dass auch an Federn, die eigentlich schon in Benutzung waren, die Tinte nicht richtig haften will. Durch Handhabung (im wahrsten Sinne) hat sich wieder ein Fettfilm auf die Feder gelegt. Da hilft es, die Feder noch einmal kurz zu behandeln.

Die Feder und der Flansch

Obliquehalter und Federn für die Spitzfeder-Kalligraphie

Wie ärgerlich: Die Tinte kann nun zwar theoretisch fließen, doch als ihr die neue Feder in den Halter stecken wollt, stellt ihr fest, dass sie überhaupt nicht in den Flansch des Obliquehalters passt. Sie lässt sich nicht oder nur mit Gewalt hineinschieben oder sitzt so locker, dass sie von selbst wieder herausrutscht. Die bittere Erkenntnis: Nicht jede Feder passt in jeden Flansch.

Keine Sorge: Ihr müsst nun nicht auf einen geraden Halter mit Globuseinsatz zurückgreifen, in dem in der Regel zwar jede Feder hält, der aber gerade für die Spitzfeder-Kalligrafie meist nicht das Mittel der Wahl ist (warum nicht? Darüber berichte ich hier). Der Flansch eines Obliquehalters ist in der Regel aus Messing. Er kann mit der Hand oder mit einer Rundzange ein wenig in Form gebracht werden, so dass auch unterschiedliche Federn hineinpassen. Praktisch ist es, wenn der Flansch nicht fest mit dem Halter verbunden ist, sondern sich herausziehen lässt, denn so ist es einfacher, ihn in Form zu bringen. 

Unpraktisch ist es hingegen, wenn ihr mehrere Federn in Gebrauch habt, die alle unterschiedliche Formen haben und für die der Flansch jedes Mal angepasst werden muss. Dafür gibt es zwei Lösungen: Entweder ihr benutzt mehrere Flansche, die an die einzelnen Federn angespasst sind und die ihr mit einem Halter verwenden könnt, bei dem sich der Flansch herausnehmen und somit austauschen lässt. Oder aber: ihr besitzt gleich mehrere Halter, deren Flansch ihr an die verschiedenen Federn angepasst habt. Ich muss gestehen, dass ich inzwischen zu zweiterer Lösung greife.

Den Flansch anpassen

Wie man einen Flansch biegt, dazu gibt es einige gute Videos von tollen Kalligrafen und echten Fachleuten, die ich euch hier verlinke. Ich gebe zu, auch ich biege manchmal noch etwas planlos an meinem Flansch herum, aber irgendwie klappt es am Ende doch und die Feder sitzt.

Dr. Joe Vitolo: Adjusting the flange on your oblique pen holder (YouTube)
Lindsey Bugbee (thepostmansknock.com): How to Adjust an Oblique Pen Holder (with Rodger Mayeda)
Kestrel Montes (inkmethis.com): Oblique flange adjustment to accommodate many nibs
David Grimes (masgrimes.com): Oblique Pen Holder Set-up and Adjustment

Einer der Gründe, warum ich die recht günstigen Obliquehalter aus Plastik von Speedball für die Spitzfeder-Kalligrafie ausdrücklich nicht empfehle, ist übrigens, dass sie unflexibel sind und sich nicht an die einzelnen Federn anpassen lassen.

So steckt die Feder richtig im Halter

Federhalter mit Linie

Der zweite Grund für die Nicht-Empfehlung: Die wenigsten Federn stecken tatsächlich richtig darin. Aber was heißt eigentlich „richtig“? Wie weit muss die Feder hineingeschoben sein, um optimal mit ihr schreiben zu können?

Stellt euch eine imaginäre gerade Linie vor, die längs durch euren Federhalter verläuft. Wenn die Feder im Flansch steckt, sollte die Spitze der Feder genau auf dieser Linie liegen – nicht darüber hinausragen. Bei Speedball-Federhaltern und größeren Federn wie der Nikko G passiert das leider ziemlich regelmäßig. Dadurch entsteht ein ziemlich schräger Schreibwinkel, ihr schreibt sozusagen „rechts“ von eurer normalen Schreibposition.

Die Feder reinigen

Federn – nicht nur für die Spitzfeder-Kalligrafie – sind zwar Gebrauchsgegenstände und nutzen sich mit der Zeit ab, doch wenn ihr pfleglich mit ihnen umgeht, halten sie länger. Dazu gehört auch das Säubern nach dem Gebrauch. Ihr könnt die Feder dazu einfach in Wasser tauchen, etwas ausspülen und sorgfältig abtrocknen, damit sie nicht rostet. Bitte zieht sie aber vor dem Säubern aus dem Flansch: Wenn dieser ins Wasser getaucht wird, lässt er sich nur sehr schwer wieder trocknen, beginnt dann zu rosten und schließlich lässt sich die Feder nicht mehr hineinschieben. 

Einige Tinten wie solche auf Acrylbasis oder Eisengallustinte greifen die Feder schneller an, in diesem Fall solltet ihr umso gründlicher reinigen.

Irgendwann ist jedoch jede Feder einmal hinüber. Wenn ihr das Gefühl habt, dass sie mehr kratzt als zuvor, dass mit ihr keine feinen Haarlinien mehr möglich sind oder die Tinte nicht mehr richtig fließen will, solltet ihr sie ersetzen. Zum Glück sind handelsübliche Spitzfedern recht günstig – anders als manche Vintagefeder, für die man mitunter sehr viel Geld ausgeben kann.

Und wo bekommt man sie nun, die Spitzfedern?

Federn gibt es eigentlich überall dort, wo es auch Papier und Bastelzubehör, mindestens aber Kalligrafieutensilien gibt. Wo es bis vor gar nicht allzu langer Zeit meist nur Bandzug-, Redis- oder Plakatfedern gab, haben die meisten (größeren) Bastelläden inzwischen auch schräge Federhalter und einige unterschiedliche Spitzfedern in ihrem Sortiment. Idee Kreativ zum Beispiel hat stationär (vielleicht auch nur in einigen Filialen) in der Regel eine G-Feder, die Brause Steno und auch die Hiro Leonardt Kronenfeder (No. 41) im Angebot. Online findet ihr eine großartige Auswahl zum Beispiel bei Federführend (wo, wenn nicht dort ;-)); auch Kallipos hat zahlreiche Federn, unter anderem Vintagefedern, im Sortiment.

Federn für die Spitzfeder-Kalligraphie

Ich wünsche euch viel Spaß beim Ausprobieren!

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